Brauchen wir neue Grundrechte (insbesondere im Lichte der KI)?

06.08.2021

Der letzte Tag des Sommerdiskurses galt der multiplexen Anwendung und Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. In der Anmoderation des ersten Referenten lobte Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó den Sommerdiskurs als intellektuelles Zentrum, das sich bereits im Sommer mit den Themen von morgen beschäftigt.

Impulsreferate und Podiumsdiskussion:

von Peter Hübelbauer

Univ.-Prof. Dr. Karl Stöger, MJur befasste sich in extenso mit der Frage, ob wir aufgrund des technologischen Fortschritts neue Grundrechte brauchen und schickte in seinem Impulsreferat bereits eingangs voraus, dass die derzeitigen Grundrechte hinreichenden Schutz gewähren. Seine näheren Erläuterungen zeigten, dass die heutigen Problemfelder der KI, wie (Schein)Korrelation statt Kausalität, Opazität, Bias und Diskriminierung, Datenhunger, oder Ungenauigkeit, grundrechtlich keine neuen Fragen aufwerfen, sondern – wie bekannte Probleme aus der analogen Welt – mit den bereits bestehenden Grundrechten, wie Recht auf Datenschutz oder dem Willkürverbot gelöst werden können. Diskutabel sei allerdings ein neues Grundrecht als Recht auf menschliche Entscheidung nur um des Menschen willen, um die menschliche Entscheidung als eigenständigen Wert zu betonen. Stöger resümierte, dass der einfache Gesetzgeber gefragt ist, im Zivilrecht die Drittwirkung der Grundrechte auszuweiten und sah sich im Entwurf für die unionsrechtliche KI-Verordnung bestätigt (Pressemitteilung der Kommission vom 21.4.2021), in der auch keine neuen Grundrechte vorgesehen sind, sondern mit der die einfachgesetzlichen Regelungen harmonisiert werden.


Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó knüpfte in seinem Impulsreferat an dem Entwurf der unionsrechtlichen KI-VO an und teilte dazu seine kritischen Gedanken mit den Diskursteilnehmern. Allgemein kritisierte er die Rhetorik in der Verordnung, die sich in ihrer Ambivalenz aus pazifistischer Prämisse und martialischen Neigungen selbst entkräfte. Die Ausnahmen für militärische Zwecke untergraben das Verbot von KI-Systemen, die Menschen gefährden. Diese Diskrepanz sei zwar kompetenzrechtlich vorprogrammiert, doch dann sollte die EU eine entsprechend realistischere Erwartungshaltung einnehmen. In einem Exkurs verwies Forgó auf die DSGVO, die als künftiger Weltstandard angekündigt worden war, an der sich jedoch die Staatengemeinschaft bis heute nicht orientiert. Deutliche Kritik übte der Vortragende außerdem an der KI-Echtzeitüberwachung, da der Ausnahmenkatalog, insbesondere zu Zwecken der Strafverfolgung, deren generelles Verbot gänzlich aufweicht. Auch die Transparenzanforderungen – der Mensch soll wissen, dass er mit einer KI kommuniziert – werden durch die Ausnahmen zu Strafverfolgungszwecken torpediert. Viel juristische Arbeit sieht Forgó künftig in der Qualifikation von Hochrisiko-KI-Systemen, zu deren Identifizierung allein die Verordnung 12 Seiten Normtext mit 35.000 Zeichen bereitstellt. Anstatt sich in Normtexten zu verlieren, sollten die EU-Mitgliedstaaten die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in der Digitalisierung durch konkrete Maßnahmen, wie die Datenvernetzung, angehen, denn Verordnungen der EU allein konnten in den letzten Jahren nichts an der Führungsrolle von China und den USA ändern.


Nach diesen Impulsen diskutierten die interdisziplinären Diskursteilnehmer lebendig über die Notwendigkeit neuer Grundrechte und über die Regulierung der Künstlichen Intelligenz.

 

Impulsreferate und Podiumsdiskussion:

von Matthäus Uitz

Am Freitag, dem 6. August 2021 fand der diesjährige Sommerdiskurs in Strobl am Wolfgangsee mit der Erörterung des überaus zeitgemäßen und komplexen Themenbereichs der rechtlichen Erfassung künstlicher Intelligenz (KI) einen würdigen Abschluss.

Der frühe Vormittag war zwei Vorträgen samt anschließender Diskussion gewidmet. Zunächst befasste sich Herr Univ.-Prof. Dr. Karl Stöger (Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien) mit der Frage, ob die kontinuierliche Zunahme des Einsatzes von KI-Systemen die Schaffung neuer Grundrechte erfordert, oder ob mit der bisherigen Verfassungsrechtslage das Auslangen gefunden werden kann. Seine Ansicht, dass es weniger die Aufgabe des Verfassungsgesetzgebers, als vielmehr jene des einfachen Gesetzgebers sei, einen adäquaten Rechtsrahmen für die Regulierung der KI-Technologie zu kreieren, fand im Publikum allgemeine Zustimmung. Den zweiten Vortrag hielt Herr Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó, dessen Kritik an den oftmals vagen und wenig aussagekräftigen Formulierungen des Vorschlags der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments für eine KI-Verordnung bei den Zuhörerinnen und Zuhörern auf weitgehende Zustimmung stieß. Positive Resonanz rief insbesondere seine konzise Darstellung der überaus intrikaten Regelungsvorschläge hervor, deren Komplexität nicht zuletzt der schwerfälligen Sprache des Verordnungsentwurfs geschuldet ist.

 

Workshop 1: Künstliche Intelligenz und Algorithmen: Was kann da schon schiefgehen?

von Matthäus Uitz

Nachdem die Diskussion zu den beiden Vorträgen zu Ende gegangen war, begannen die drei Workshops, zu denen sich die Teilnehmer:innen des Sommerdiskurses im Vorfeld nach Belieben anmelden konnten. Der Workshop mit dem Titel „Künstliche Intelligenz und Algorithmen: Was kann da schon schiefgehen?“ stand unter der Leitung von Frau Mag.a Paola Lopez (Mathematikerin, Ars Iuris-Fellow und Dissertantin an der Universität Wien mit einem Forschungsschwerpunkt auf der interdisziplinären Verschränkung der Digitalisierung mit den Rechtswissenschaften) sowie Herrn Mag. Julian Pehm (Jurist, Ars Iuris-Fellow und Dissertant an der Universität Wien mit einem Forschungsschwerpunkt im Schadenersatzrecht). Den Expertisen und dem Enthusiasmus der beiden Workshop-Leitenden war es zu verdanken, dass die fruchtbringende Diskussion zum Einsatz von KI-Systemen die technologischen und haftungsrechtlichen Facetten des Themas gleichermaßen beleuchten und die Teilnehmer:innen zum weiterführenden Nachdenken über die Möglichkeit, Notwendigkeit, Gefährlichkeit und Vorteilhaftigkeit der Nutzung von existierenden und künftigen, auf Algorithmen basierenden Technologiesystemen anregen konnten. 

 

 

Workshop 2: Artificial Intelligence and Social Robotics

von Peter Hübelbauer

Der Workshop von Mag. Karina Karik, BA M.A.I.S. und Mag. David Bierbauer wurde in englischer Sprache gemeinsam mit den Teilnehmern des Sommerdiskurses sowie der Sommerhochschule abgehalten.
Mag. David Bierbauer begann den Workshop mit der Darstellung der Grundlagen für Künstliche Intelligenz mit der Nennung dreier Hauptmerkmale von KI-Technologien; der Datenintensität, Komplexität und Fragilität. Letztere stellte den Schwerpunkt seiner Veranschaulichung von Künstlicher Intelligenz dar und die Workshop-Teilnehmer wurden eingeladen, sich Gedanken zu machen, wo die Angriffspunkte in KI-Technologie liegen, um anschließend mit spannenden Beispielen die hohe Anfälligkeit für Fehler und Manipulation zu erfahren.


Mag. Karina Karik, BA M.A.I.S. widmete sich dem konkreten Einsatzgebiet von KI in Social Robotics und gab nach der Einführung in dieses Themenfeld den Workshop-Teilnehmern wertvolle Einblicke in die aktuelle sozialwissenschaftliche Forschung. So beschäftigten sich die Teilnehmer mit der Frage, ob bzw unter welchen Umständen ein Smart Phone als Social Robot betrachtet werden kann. Auch die Grenzen von Trainingsdaten im Kontext der Entwicklung von Emotion sowie die Anwendungsbereiche in der Unterstützung Betroffener bei Autismus und Demenz waren Gegenstand einer regen Debatte.

 

Workshop 3: Artificial Intelligence and Media

von Katharina Figl und Julia Heindl

Im Rahmen des Sommerdiskurses der Sommerhochschule der Universität Wien fand am Freitag, 6. August 2021 der Workshop „Künstliche Intelligenz und Medien“, geleitet von Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgo und Dkfm. Helmut Hanusch, statt.

Die Vortragenden erinnerten sich zurück an ihre Anfänge und schilderten die größten Veränderungen der letzten Jahre in der Medienwelt. Es wurden dabei nach und nach elektronische Geräte eingesetzt. Zu Beginn war das erste elektronische Gerät ein Telefon, dann kam ein Fax-Gerät hinzu und schließlich wurde auch der Computer eingesetzt. Anhand dieser Innovationen und deren rascher Verbreitung in der Arbeitswelt, kann geschlossen werden, dass es auch in Zukunft neue Technologien und Änderungen geben wird, wozu jedenfalls jetzt schon Künstliche Intelligenz zählt.

Um an das Thema des Workshops anzuknüpfen, wurde einiges zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Medienwelt berichtet. „Künstliche Intelligenz ist verbreiteter als angenommen“. 30% der journalistischen Inhalte werden in der heutigen Zeit automatisch durch Computer erstellt. Ereignet sich eine Naturkatastrophe wie beispielsweise ein Vulkanausbruch, fertigt ein Computer in wenigen Minuten einen Bericht darüber an. Weiters wird Tracking des Leseverhaltens eingesetzt, um auf das Verhalten zu reagieren. Nicht nur Änderungen werden automatisch von einem Computer anhand Trackings vorgenommen, sondern es werden dadurch auch Medieninhalte personalisiert und auf den/die jeweilige*n Leser*innen zugeschnitten. Künstliche Intelligenz führt dazu, dass sich journalistische Rollenbilder ändern werden. Nachteil personalisierter Inhalte ist, darüber waren sich alle einige, dass konträre Meinungen anderer Beiträge für gewisse Leser*innengruppen nicht sichtbar sind und sich interessierte Leser*innen selbst auf die Suche nach diesen Beiträgen machen müssten.

Spannende Diskussionen gab es unter anderem zu folgenden Themen:

Medien können als die vierte Gewalt in einem Staat angesehen werden. Fraglich und diskussionswürdig war, ob Medien durch Künstliche Intelligenz gestaltet und geleitet werden sollen. Daraus könnten sich Ethikprobleme ergeben und es können auch Fake News verbreitet werden.

Außerdem wurden Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit von Medien und der Bereitstellung von Inputs für Systeme der Künstlichen Intelligenz diskutiert. Künstliche Intelligenz braucht Inputs. Diese Inputs werden häufig durch andere Artikel eingeholt, die wiederum von einem Computer geschaffen wurden. Dadurch kann es zu einer Gegenüberstellung von Künstlicher Intelligenz und Künstlicher Intelligenz kommen.

Über diese Themen gibt es sicher noch viele lange Diskussionen. Es bleibt abzuwarten, ob Künstliche Intelligenz die heute bereits bestehenden Probleme iZm Medien nicht noch weiter verschärft.

Vom 2. bis zum 7. August 2021 fand das Sommerprogramm der Ars Iuris in Strobl am Wolfgangsee statt. Einblicke ins weitere Programm sind hier zu finden.