Blick über den Tellerrand und Blick in die Seele. Oder: Wie man ein Wissenschaftler wird

09.01.2019

Beim exklusiven Socratic-Seminar lernen die Fellows der Doctoral Academy Feedbackkultur auf allerhöchstem Niveau. Dazu gehört auch das Einfühlen in den Menschen hinter dem Text.

Wie bei der letzten herbstlichen Socratic-Session im Schloss Seggau in der Südsteiermark fand auch im Winter exakt „eine Fußballmannschaft“ von Fellows zum traditionellen Socratic-Seminar von 6. bis 9. Januar 2019 in Haus im Ennstal zueinander: Unter Anleitung und Begleitung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz-Stefan Meissel und Univ.-Prof. Dr. Franz Merli genossen Kevin Fredy Hinterberger, Philipp Janig, Kevin Labner, Alexandra Kunesch, Felix Zopf, Julia Kienast, Thomas Dullinger, Lena Kolbitsch, David Tritremmel, David Messner und Günther Schaunig die fruchtbar-inspirierende, schneeweiße Steiermark. Noch nie zuvor waren im Rahmen einer Socratic-Session so viele Texte, nämlich acht an der Zahl, diskutiert worden. Die Rekorde purzelten damit nicht nur beim gewohnt harmonischen Ausklang auf der Kegelbahn (die Öffentlichrechtler besiegten die Privatrechtler), sondern auch beim intensiven Textseminar. Die Freizeit, die natürlich auch nicht fehlen durfte, verbrachten die Professoren und Fellows etwa mit gemeinsamem Kochen und lustigen Diskussionen über Haustiere (von der Schlange bis zu den Meerschweinchen).  

Mit fundiertem Blick auch in angrenzende Wissenschaftsdisziplinen – etwa in die Soziologie und die Politikwissenschaft – schenkten die Fellows einander ein breites Themenspektrum. Dieses Geschenk anzunehmen, heißt auch harte Vorbereitungsarbeit: Jeder Fellow muss jeden Text lesen, damit eine produktive Auseinandersetzung möglich wird. Aber diese Arbeit zahlt sich aus: Jede Autorin und jeder Autor erhält ein zwölffaches Quasi-Peer-Review (zwei Professoren und zehn Fellows), also zwölf fundiert-differenzierte gutachterliche Stellungnahmen zu ihrem und seinem Text. Dieses Review bewahrt, um wieder Anleihe in der Fußballersprache zu nehmen, so manchen Fellow vor absolut unverzeihlichen „Dunkelrotfouls“ des wissenschaftlichen Diskurses: So sollte man etwa bei Kritik an Höchstgerichten besonders vorsichtig sein und besonders gut überlegen, was man schreibt, um „Revanchefouls“ zu vermeiden. Solch unverzeihliche Irrtümer konnten aber gottlob ausgeräumt werden.

Die Professoren und Fellows diskutierten folgende Texte: Aktuelle Entwicklungen zum geschützten Merkmal „ethnische Zugehörigkeit“ (Thomas Dullinger), Regularisierungen von irregulär aufhältigen Migrant*innen (Kevin Fredy Hinterberger, Auszug aus der Dissertation), The Paradoxical Nature of General Principles of Law in Relation to an International Rule of Law (Philipp Janig), The European Migration Crisis 2015: Lessons from Austria and the European Union on Legal Tools and Restraints for the Management of Mass Migration (Julia Kienast, Auszug aus der Dissertation), Haftung in Gefälligkeitsverhältnissen (Lena Kolbitsch, Auszug aus der Dissertation), Abschleppmaßnahmen gegen unzulässig auf Privatgrund abgestellte Fahrzeuge (David Messner), „Janusköpfigkeit“ der DSGVO im Sinne einer Betrachtung (auch) als Sonderprivatrecht (Felix Zopf) und Wiedergutmachung durch Selbstanzeige im Finanzstrafrecht (Jennifer Capelare/Günther Schaunig). 

Sinnstiftung erfuhren die Fellows aber nicht nur in fachlicher, sondern auch in menschlicher Hinsicht. Beides erweist sich als unbezahlbar. Was nämlich für die Relativität der eigenen wissenschaftlichen Position gilt, gilt genauso für die Relativität des Ich im Allgemeinen: Beim Socratic-Seminar lernen die Fellows beim Erteilen von Feedback im einfühlsamen Verständnis also auch die Bezogenheit auf das Du. Sie schulen einander – bei aller berechtigten Kritik – in der Rücksichtnahme auf den Menschen hinter dem Text. Denn dieser Mensch ist als Individuum, anders als das geschriebene Wort, verletzlich.