von Anton Dirlinger
Im Rahmen der Ringvorlesung zur Methodenlehre hielt die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.in Dr.in Elisabeth Lovrek am 3. Mai einen Vortrag vor den Fellows der Ars Iuris. In diesem widmete sie sich den Auslegungsmethoden und methodischen Problemen bei deren Anwendung mit einem Fokus auf die Herangehensweise des OGH.
Dass der Gesetzgeber unmöglich alle Fälle, mit denen das Leben aufwartet, regeln kann, wurde gleich anfangs durch das Beispiel der Vaterschaftsfeststellung eines eineiigen Zwillingsbruders einprägsam vor Augen geführt (OGH 1 Ob 20/14v). Von diesem Startpunkt aus wurden dann entlang des klassischen Auslegungskanons verschiedene – teilweise sehr vertrackte – Methodenprobleme behandelt: Vom "Schweigen des Gesetzgebers", bloß in den Materialien verankerten Absichtsbekundungen des Gesetzgebers, über die Vermeidung der Funktionslosigkeit von Rechtsvorschriften, hin zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von richtlinien- und verfassungskonformer Interpretation – um ein paar Beispiele zu nennen.
Auch das Verhältnis von konkreten gesetzgeberischen Absichtsbekundungen und der "dem Gesetz eigenen Vernünftigkeit" wurde erörtert. Für die Sicht des OGH hierzu, also zur bedeutsamen Rolle des Telos, wurde der in der Entscheidung 1 Ob 374/97z formulierte Rechtssatz RS0109735 hervorgehoben. Geänderte Wertvorstellungen und ihre Verankerung in der Rechtsordnung wurden am Beispiel der Judikaturänderungen zur Sittenwidrigkeit der Prostitution (OGH 3 Ob 45/12g) und dem Eintrittsrecht gleichgeschlechtlicher Paare nach § 14 MRG (OGH 5 Ob 70/06i nach EGMR Karner/Österreich 40016/98) erklärt. Abschließend rief sie in Erinnerung, dass der OGH als Höchstgericht aufgrund prozessualer Restriktionen nicht immer Aussagen zu allem treffen könne, wozu man als (Nachwuchs-)Wissenschafter:in gerne etwas gesagt bekommen würde.
Auf den rund einstündigen Vortrag folgten weitere 50 Minuten, in denen die Fellows die Möglichkeit hatten, Fragen von methodischen Detailproblemen bis zum Verständnis der (höchst)richterlichen Aufgabe im demokratischen Rechtsstaat stellen konnten.