Bericht von Roman Friedrich
Paul Frey, Direktor des KHM, Kristin Hanusch-Linser, Executive Advisor im Bereich Transformation, Agile Leadership und Brand-Positioning und Roland Gerlach, Rechtsanwalt und Spezialist für Arbeitsrecht, widmeten sich unter Moderation von Franz-Stefan Meissel den Pandemieerfahrungen und die Zukunft der (Arbeits-)welt.
Frey diskutierte in seinem Impulsvortrag grundlegende Transformationen in der Arbeitswelt an, wobei sich in seinem Betrieb, dem KHM, freilich auch spezifische Entwicklungen entfalteten bzw nach wie vor entfalten: Schon vor der Covid-19-Pandemie habe ein Trend der Flexibilisierung der Arbeitswelt eingesetzt, der mit hohen Ansprüchen seitens der Dienstnehmer:innen einhergehe und ganz neue Ansprüche an Führungsebenen stellte.
Er betonte, dass so manche Maßnahme der Pandemiebekämpfung in Unternehmen mit hohem persönlichen Identifikationsgrad der Mitarbeiter:innen schwierig ist, so etwa eine Verpflichtung zum Home Office, die mit einer arbeitsrechtlichen Aussperrung vom Betrieb vergleichbar sei. IdZ sei auch der Begriff der „Systemerhalter“ für alle die nicht einfach, die dazu offenbar nicht gehörten und dadurch gleichsam entbehrlich waren.
Einen hohen Beschleunigungsfaktor attestierte Frey auch dem technischen Fortschritt beim Equipment für Home Office.
Rückblickend, schlussfolgert Frey, sei die Home Office-Situation für viele Mitarbeiter:innen ganz angenehm gewesen; dies wiederum habe zu Lernprozessen der Managementebene geführt.
IdZ kam Frey auf den Wunsch vieler Dienstnehmer:innen zu sprechen, die halbe Woche von woanders zu arbeiten und dabei zeitlich flexibel zu sein. Dabei sprach er die soziale Dimension von Home Office an, zumal jene, die „an die Scholle gebunden“ sind, häufig auch jene seien, die schlecht verdienen.
An den Gedanken von der hohen Identifikation mit dem eigenen Betrieb anknüpfend, betonte er aber, dass es bei einem Museum mit seiner eigentümlichen „Aura das Originals“ problematisch sein könne, wenn die Mitarbeiter:innen teilweise nicht anwesend sein wollen. Im Zuge der Diskussion mit dem Publikum betonte er später, dass er das Verbot von Home Office an Tagen unmittelbar vor oder nach dem Wochenende sowie Feiertagen durchgesetzt habe.
Abschließend stellte Frey abermals die unterschiedlichen Prioritäten von Dienstgeber und Dienstnehmer:innen beim Thema Home Office dar: Während es ersterem um Effizienz der Arbeitsorganisation gehe, stehen für letztere verständlicherweise die Harmonisierung und Optimierung des Lebensmodells im Vordergrund. Dies werfe arbeitsrechtliche Fragen auf, wie etwa die nach der Fürsorgepflicht des Dienstgebers.
Nach Ausführungen zur schlechten Produktivität der Arbeitskraft, die insbesondere die Führungsebenen fordere, stellte Frey zur Debatte, wie die Volkswirtschaft mit der gewonnenen Freiheit vieler Dienstnehmer:innen umgehen kann und soll: gesteigerter Konsum? Oder echter europäischer Mehrwert?
Hanusch-Linser rekapitulierte zunächst die unterschiedlichen „Zeitalter“ der Arbeits- und Organisationsmodelle: vom Industriezeitalter (Organisationsmodell der Bürokratie, sehr prozesszentriert) haben wir uns über das Informationszeitalter (Meritokratie: Expertenwissen im Vordergrund) zum Zeitalter der Netzwerke („Adhocracy“; Menschen- und wertezentriert) weiterentwickelt. Damit setzte sie die Fragen, die das Panel andiskutierte, in einen gut nachvollziehbaren Bezugsrahmen.
Während Max Weber noch die totale Veränderung der Gesellschaft durch die zu seiner Zeit neuartige Betriebsstruktur in Form einer strikten Trennung von Wohnung und Arbeit beschrieben hatte, sei nun die Entwicklung „von der Werkbank ins Home Office“ im Gange. Dabei betonte Hanusch-Linser, dass jedoch derzeit alle Organisationen die verschiedenen Organisationsmodelle noch (parallel) praktizieren, jedoch durch neuartige Entwicklungen unter Druck geraten seien.
Hierbei gehe es um die Erhöhung der Selbstorganisationsfähigkeit im Rahmen einer Transformation weg von der Hierarchie und hin zum Netzwerk. Das Wohnzimmer sei mittlerweile zur häufigen beruflichen Kommandozentrale geworden, Telearbeit kein absolutes Privileg mehr.
Dabei betont Hanusch-Linser, dass es insbesondere an den Stakeholdern liege, diese transformativen Prozesse zu gestalten und auf die jeweiligen Interessen anzupassen.
Dies bedeute große Herausforderungen für die Führungsebenen, die gleichzeitig an anderen Baustellen laborieren müssen, so etwa am Wegbruch zahlreicher Dienstnehmer:innen durch Pensionierungen der Babyboomer.
Um alles dies zu bewältigen, seien neue Kompetenzen gefragt: Modulation, Moderation, Integration, Resilienz; Führungsteams müssen sich grundlegend ändern.
Abschließend betonte Hanusch-Linser die städtebauliche und raumordnungsrechtliche Dimension der fortschreitenden Entwicklungen: Wenn Wohnen und Arbeiten wieder zusammenwachsen, wird weniger Bürofläche benötigt, das Leben an der Peripherie wird wieder attraktiver, Ortskerne könnten wieder aufblühen.
Gerlach, der das Panel wohl unverhofft komplettierte, rundete die Reihe ab und wartete mit provokanten Aussagen auf: Gleich zu Beginn forderte er, man werde sich vom Konzept der Arbeitszeit komplett lösen müssen. Bereits jetzt sei gängige Praxis, dass Dienstnehmer:innen Arbeitszeiten aufzeichnen, die kaum je stimmen. Dabei gab er zu bedenken, dass das Arbeitszeitrecht angesichts seiner Nähe zum Arbeitnehmerschutzrecht durch den europäischen Gesetzgeber stark reguliert ist.
Den von Frey angesprochenen Produktivitätsaspekt griff Gerlach dadurch auf, dass das Modell Produktivität durch Anwesenheit, das „da sein“ mit Arbeiten gleichsetzte, ausgedient habe. Die bloße Anwesenheit sei heute kein Gradmesser mehr für Arbeit. Vielmehr gehe es um tatsächliche Produktivität.
In jenen Jobs, in denen sich diese Transformationsprozesse abspielen, sei das Konzept von Arbeitszeit- und Arbeitsruheregelungen komplett abzuschaffen, eine durchaus provokante Forderung. Gerlach räumte jedoch ein, dass sein rigoroser Standpunkt für einzelne Branchen – Gastronomie, Medizin – nicht gelten könne.
Die folgende Diskussion griff zahlreiche der mitunter pointiert vorgestellten Standpunkte auf und spann sich etwa um die Heterogenität bzw „Fiktion der Homogenität“ der Arbeitswelt und der Frage, wie man damit umgehen könne.
Diskutiert wurde weiters ein allfälliges „Recht auf Arbeitsplatz“, zumal es weiterhin viele Dienstnehmer:innen geben werde, die Wohnung und Arbeitsplatz strikt trennen wollen. Auch Gewerkschaften werden angesichts ihrer traditionellen Betriebsbezogenheit und ihres Interesses am Zugriff auf die Belegschaft ein Interesse an der Arbeit im Betrieb haben.
Man erkannte, dass dadurch ein Spannungsfeld zu den Interessen der Dienstgeber entsteht, wobei große Unternehmen im großen Stil auf Home Office setzen, teilweise müssen Dienstnehmer:innen bereits jetzt ihre Arbeitsplätze reservieren.
Weiters ging es um das Problem der dauernden Erreichbarkeit von Dienstnehmer:innen sowie die zunehmende Wichtigkeit von (Aus-)Bildung.
Gerlach bezog abermals kontrovers Stellung und regte an, die Abhängigkeit der Erwerbsarbeit zugunsten von mehr (unternehmerischer) Selbstverantwortung aufzugeben.
Letzlich gab Frey zu bedenken, dass die Transformation von der Arbeitszeit zur Produktivität durchaus als Rückschritt gewertet werden könne und die humanistische Prägung auch das Arbeitszeitrechts ausblende.
Das erste Panel am Donnerstag-Vormittag bot damit eine tour d’horizon durch die vielfältigen Auswirkungen von Covid-19 auf die Arbeitswelt sowie durch bereits seit längerem bestehende Transformationsprozesse, die Covid-19 bloß amplifiziert hat. Viele der aufgeworfenen Fragestellungen, nicht selten pointiert formuliert, regten zum Nachdenken, Weiterdiskutieren und heftigen Kritisieren an – teilweise bereits beim zweiten Kaffee des Tages.
Vom 2. bis zum 7. August 2021 fand das Sommerprogramm der Ars Iuris in Strobl am Wolfgangsee statt. Einblicke ins weitere Programm sind hier zu finden.