Zahlreiche Umweltprobleme weisen einen globalen Charakter auf. Um grenzüberschreitende Herausforderungen wie schwindende Artenvielfalt oder die Zerstörung sensibler Landschaftsformen gemeinsam besser bewältigen zu können, schließen Staaten völkerrechtliche Verträge ab. Wie effektiv diese völkerrechtlichen Verträge zur Lösung von Umweltproblemen beitragen, hängt davon ab, inwieweit die Vertragsstaaten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen umsetzen und ihr Verhalten ändern. Die verhaltenssteuernde Wirkung umweltrechtlicher Verträge hängt unter anderem von der Formulierung der Vertragspflichten ab. Eine Frage, die sich bei der Formulierung der Vertragspflichten in umweltrechtlichen Verträgen stellt, ist, wie viel Freiraum die Vertragsparteien bei der Erfüllung umweltrechtlicher Vertragspflichten haben sollen. Umweltverträge können die Maßnahmen, die Staaten zu setzen haben, genau festlegen, oder einen Ermessensspielraum einräumen. Mein Paper „Discretion in International Environmental Law“ widmet sich den Konsequenzen der Einräumung von Ermessen in Umweltverträgen.
Vertragsbestimmungen, die Ermessen gewähren, haben sowohl Vor- als auch Nachteile. Einerseits sind sie in einem Rechtsgebiet wie dem internationalen Umweltrecht, das schnellen Veränderungen unterliegt und in dem Entscheidungsträger auf vielfältige, unvorhersehbare Bedrohungen reagieren müssen, unentbehrlich. Anhand von Beispielen zeigt das Paper, dass solche Vertragsbestimmungen Entscheidungsträgern erlauben, flexibel auf Bedrohungen zu reagieren, die bei Ausarbeitung des Vertrages nicht vorhersehbar waren. Sie sind daher unter Umständen effektiver als Vertragsbestimmungen, die präzise Maßnahmen vorgeben. Als „Entscheidungsträger“ (decision-makers) bezeichnet das Paper staatliche Organe, Vertragsorgane oder internationale Streitbeilegungsorgane, die bei der Anwendung und Umsetzung des jeweiligen Vertrages Ermessen üben.
Andererseits können sich Vertragsbestimmungen, die Ermessen einräumen, auch negativ auf die verhaltenssteuernde Wirkung von Umweltverträgen auswirken. Das Paper konzentriert sich auf die Frage, warum diese negative Wirkung eintritt. Ein Grund ist, dass Bestimmungen, die den Vertragsparteien Ermessen darüber einräumen wie sie ein bestimmtes Ziel erreichen wollen als Bestimmungen ausgelegt werden, die den Parteien Ermessen darüber einräumen, ob überhaupt Umsetzungsmaßnahmen auf innerstaatlicher Ebene getroffen werden sollen. Nicht nur die Vertragsparteien selbst können Vertragsbestimmungen bei der innerstaatlichen Umsetzung in diesem Sinne verstehen – auch vor einem internationalen Gericht kann sich die Frage stellen, wie weitreichend das Ermessen der Vertragsparteien ist. Vor internationalen Gerichten kann es daher schwieriger sein, sich auf Vertragsbestimmungen zu stützen, die einen Ermessensspielraum einräumen. In diesem Zusammenhang ist auch relevant, dass Vertragsbestimmungen, die Ermessen gewähren, häufig als indirekte Verpflichtungen formuliert sind. Umweltverträge sehen etwa vor, dass Vertragsparteien ihre Verpflichtungen über die nicht weiter definierte Anpassung des innerstaatlichen Rechtssystems oder den Abschluss weiterer Abkommen zu erfüllen haben. Das erschwert es, von anderen Vertragsparteien ein bestimmtes Verhalten in einem konkreten Fall zu verlangen: Etwa die Unterlassung eines konkreten Projekts, das droht, einen bestimmten Lebensraum zu zerstören. Zuletzt geht das Paper auf Situationen ein, in denen sich ein Staat mit unterschiedlichen vertraglichen Verpflichtungen konfrontiert sieht. Innerstaatliche Maßnahmen zur Umsetzung eines Umweltvertrages können in Rechtspositionen eingreifen, die durch andere völkerrechtliche Verträge geschützt werden (zum Beispiel durch Investitionsschutzverträge). Verweist der beklagte Staat in einem Verfahren vor einem internationalen Investitionsschiedsgericht auf einen internationalen Umweltvertrag, um seine Maßnahmen zu verteidigen, kann das im Umweltvertrag eingeräumte Ermessen zum Problem werden. Denn dem Argument, dass die Maßnahmen der Umsetzung eines internationalen Umweltvertrages dienen, könnte entgegengesetzt werden, dass aufgrund des weiten Ermessensspielraumes dem Staat auch andere Maßnahmen zur Umsetzung des Vertrages zur Verfügung gestanden wären und dass der Staat sein Ermessen im Einklang mit dem Investitionsschutzvertrag hätte ausüben müssen.
Kurzbiographie
Hannah Grandits arbeitet als Universitätsassistentin im Team von Prof. Waibel in der Abteilung für Internationales Recht. Sie hat Rechtswissenschaften an der Universität Wien studiert und ein Erasmus-Semester in Lund verbracht. Für ihre Studienleistungen wurde sie mit dem Heinrich-Klang-Preis ausgezeichnet. Juristische Arbeitserfahrung hat sie außerdem im Rahmen von Praktika in Rechtsanwaltskanzleien (vor allem in den Bereichen Schiedsverfahren und Immobilienrecht) und als Studienassistentin am Institut für Römisches Recht und in der Abteilung für Völkerrecht gesammelt. Vor ihrer Tätigkeit als Universitätsassistentin hat sie bei einem Projekt zum Thema „Künstliche Intelligenz und Verfahrensgrundrechte“ mitgearbeitet.