Schlägt man im Wörterbuch nach, wird einem das griechischstämmige[1] analog als „bildungssprachliches“ Synonym zu sinngemäß vorgestellt.[2] Im juristischen Sprachgebrauch bedient man sich beider Wörter häufig. So werden oft Sachverhalte, Autorenmeinungen oder gerichtlichen Entscheidungen „sinngemäß“ wiedergegeben. Aus methodischer Sicht am interessantesten ist es aber, wenn Normen sinngemäß – oder aber analog – angewandt werden.
Dabei werden die zwei Wörter häufig gleichläufig bzw austauschbar verwendet – etwa zur Vermeidung stilistisch unschöner Wortwiederholungen[3] oder zur „Übersetzung“ des Wortes analog für Laien[4]. Zumeist jedoch werden die Begriffe jeweils in einem bestimmten Normanwendungskontext gebraucht: Mit der analogen Anwendung einer Bestimmung wird im Allgemeinen die Schließung einer Gesetzeslücke durch den Rechtsanwender verbunden. Davon methodisch klar zu trennen sind vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnete Normverweisungen. Derartige gesetzliche Verweisungen – welche meist legistischen Effizienzerwägungen geschuldet sind – rufen regelmäßig zur „sinngemäßen Anwendung“ auf.[5]
Tatsächlich erfolgen zahlreiche gesetzliche Verweisungen mit dem Zusatz sinngemäß.[6] Bspw enthält § 43 Abs 1 EPG eine 27 Ziffern lange Liste mit Paragrafen, die auf die Ehe abstellen und für eingetragene Partnerschaften „sinngemäß“ anzuwenden sind, oder § 35 VfGG die Anordnung im Verfahren vor dem VfGH „sinngemäß“ die ZPO anzuwenden. Selten – aber doch – taucht bei derartigen Verweisungen stattdessen das Wort analog im Gesetzestext auf: so etwa in § 5a Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, welcher die Wahl per Wahlkarte regelt[7] und in Abs 8 Z 5 leg cit anordnet, für die (Ersatz-)Zustellung § 16 Abs 1 und 2 Zustellgesetz „analog“ anzuwenden.
Am Sinngehalt der gesetzlichen Verweisung ändert sich durch die Verwendung des einen oder anderen Wortes nichts. In beiden Fällen ist es dem Gesetzgeber ein Anliegen, seine Normverweise gewissermaßen zu relativieren und anzudeuten, dass die verwiesenen Normen nicht vollkommen unangepasst anzuwenden ist. Ob bzw wann dies überhaupt legistisch notwendig ist, ist eine andere Frage.[8]
Unanbhängig davon, welches Wort im Gesetz verwendet wird, ist es jedenfalls unrichtig, wenn im RIS mitunter Entscheidungen, in denen der VwGH derartigen gesetzlich angeordneten (sinngemäßen) Verweisungen folgt, mit „Analogie / Schließung von Gesetzeslücken“ verschlagwortet werden.[9] Beim Anwenden einer ausdrücklich verwiesenen Norm, behebt der Rechtsanwender ja nicht das „Manko“ [10] einer planwidrigen Lücke, sondern folgt einer geplanten Verweisung.
Zwar werden auch beim Schließen plandwidriger Gesetzeslücken andere Normen (sinngemäß) herangezogen – allerdings eben nicht auf ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers, sondern durch den Rechtsanwender. Dies wird gemeinhin als Analogie(schluss) bezeichnet; Analogie und Lückenschluss werden meist in einem Atemzug genannt.[11] Insbesondere der VwGH[12] und teilweise auch der OGH[13] verzichten allerdings beim Umgang mit Lücken zuweilen auf die Worte Analogie bzw analoge Anwendung und schließen diese stattdessen durch „sinngemäße“ Anwendung einer einschlägigen Norm.
Dabei bietet sich die Verwendung des Wortes „sinngemäß“ sprachlich nur für die Gesetzes- bzw Einzelanalogie an, bei der die Rechtsfolge einer bestimmten Norm auf einen nicht geregelten Sachverhalt erstreckt wird. Bei der Rechts- bzw Gesamtanalogie wird hingegen (ähnlich wie beim Rückgriff auf „natürliche Rechtsgrundsätze“ iSd § 7 ABGB) ein aus mehreren Normen abgeleiteter abstrakter Grundsatz angewandt[14] – die Anwendung des gewonnenen Grundsatzes auf den konkreten Fall würde man aber weder als eine „sinngemäße“ noch als eine „analoge“ bezeichnen.[15]
Methodisch macht es keinen Unterschied, wie der Lückenschluss durch das Heranziehen einer den sachverhaltlichen Tatbestand nicht ausdrücklich regelnden Norm bezeichnet wird. Wenn es im Interesse methodischer Transparenz allerdings wünschenswert ist Gesetzeslücken dezidiert als solche zu benennen,[16] so ist es – wenn dieser Begründungsteil schon verkürzt wird – empfehlenswert von einer analogen und nicht einer sinngemäßen Anwendung zu sprechen. Mit ersterer wird der Lückenschluss eher assoziiert und somit die Vorgehensweise (schneller bzw klarer) nachvollziehbar. Diese terminologische Frage, ist weder mit der Frage verknüpft, ob bzw wann Lückenschlüsse durch Analogie methodisch überhaupt zulässig sind,[17] noch damit ob es sich dabei (schon) um ergänzende Rechtsfortbildung[18] handelt oder (noch) um (pragmatische) Rechtsauslegung,[19] noch mit der unterschiedlichen Analogiehandhabung in Privat- und öffentlichem Recht.[20]
Im Ergebnis kann mit sinngemäßer und analoger Normanwendung dasselbe gemeint sein – ist es idR aber nicht. Sowohl der verweisende Gesetzgeber, als auch der lückenschließende Rechtsanwender kann sich beider Begriffe bedienen. Im juristischen Sprachgebrauch wird mit Analogie jedoch fast immer die lückenschließende Anwendung einer anderen Norm gemeint und nicht die gesetzlich angeordnete; vice versa wird bei den meisten Lückenschlüssen von Analogie gesprochen und sind die meisten gesetzlichen Verweisungen sinngemäße. Aufgrund des methodischen Unterschiedes zwischen Lückenschluss und gesetzlicher Verweisung empfiehlt es sich dieser terminologischen Einordnung zu folgen.
[1] Von altgriechisch ἀνάλογος (análogos) „entsprechend, verhältnismäßig, sinngemäß“ (de.wiktionary.org/wiki/Analogie [abgerufen am 27.7.2021; Hervorhebung nicht im Original]).
[2] S www.duden.de/synonyme/sinngemaesz; vgl www.dwds.de/wb/analog#1 (jeweils abgerufen am 27.7.2021).
[3] Vgl VwGH 4.4.2018 Ro 2017/22/0018; OGH 2.10.2020 5 Ob 79/20h; Kehrer, Gesetzeskonforme Methodik: die Auslegung von Rechtsvorschriften anhand der §§ 6 und 7 ABGB (2013) 59; Reiner, GesRZ 2019, 101 (105).
[4] Kerschner, RFG 2020/10, 46 in einem wohl auch an Nichtjurist:innen gerichteten Beitrag.
[5] Vgl Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 7 Rz 50.
[6] Im ABGB ist dies etwa 34-mal der Fall, in der ZPO 54-mal und im B-VG ganze 67-mal.
[7] Im Rahmen der Präsidenschaftswahl 2016 dürfte die Bestimmung somit wohl eine gewisse Berühmtheit erlangt haben.
[8] In gewisser Weise ist jeder Verweis auf eine andere Norm ein „sinngemäßer“, da ja nur auf deren Rechtsfolge verwiesen wird, welche für den von ihr nicht geregelten Tatbestand anwendbar erklärt wird. Dem entsprechend müssen auch bei Verweisen, die nicht ausrücklich „sinngemäß“ erfolgen, sachliche Verschiedenheiten berücksichtig werden (F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 [1991] 458 f zu § 336 ABGB).
[9] VwGH 30.1.1984 83/09/0183; 84/16/0113 VwSlg 6213 F/1987; RIS-Schlagwort-Code „VwRallg3/2/3“.
[10] F. Bydlinski, Methodenlehre2 473.
[11] Anekdotisch sei hier auf meinen ersten Kontakt mit den Begriffen verwiesen: Perthold-Stoitzner, Einführung in die Rechtswissenschaften und ihre Methoden I : Öffentliches Recht (2015) 95: „Analogie (Lückenschluss)“.
[12] VwGH 22.4.1998 96/12/0326; 27.1.2009 2005/11/0138; 30.6.2011 2008/07/0050; 9.9.2014 Ro 2014/22/0033; 18.3.2021 Ra 2020/18/0197.
[13] OGH 15 Ns 4/17g AnwBl 2017/115; vgl auch 2 Ob 129/16h JBl 2017 ,751 = EFSlg 154.010: „analoge bzw (besser) sinngemäße Anwendung“ der bäuerlichen Anerbengesetze auf Hofübergaben unter Lebenden – worin der Unterschied zwischen den beiden liegen soll, wird hier jedoch ebensowenig erörtert, wie, warum „sinngemäß“ die lückenschließende Anwendung der entsprechenden Normen „besser“ beschreibe; genau umgekehrte sprachliche Präferenz des OLG Wien in 28 R 142/12a ua GesRZ 2013, 111: „‘sinngemäß‘ (wohl analog) anzuwenden“.
[14] Vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5 (1983) 368 ff.
[15] Für Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (1964) 97 f, ist überhaupt die Bezeichnung Rechtsanalogie „wenig glücklich“ – dieser methodische Vorgang solle vorzugsweise als „Induktion“ bezeichnet werden.
[16] Dass dies nicht immer geschieht liegt daran, dass Lückenfeststellung und -schließung gedanklich meist im selben Akt erfolgen (vgl Larenz, Methodenlehre5 385 „Analogie [ist eine] Gedankenoperatio[n], die nicht nur der Lückenausfüllung dient, sondern bereits der Lückenfeststellung dien[t]“).
[17] Dazu ausf Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz 180 ff.
[18] F. Bydlinski, Methodenlehre2 472; vgl Jabloner, Die „Zusinnung“ an den Gesetzgeber: Interpretation oder Rechtsanwendung? ZöR 73 (2018) 459 (470).
[19] Potacs, Rechtstheorie2 (2019) 203.
[20] Vgl Wiederin, Verfassungsinterpretation in Österreich, in Lienbacher/Schäffer, Verfassungsinterpretation in Europa (2011) 81 (84); Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts11 (2015) Rz 136.