River of Life - A Case Study

03.11.2023

 

Ein zentrales Problem im Diskurs um das Anthropozän ist die Frage, wie sich Mensch und Natur versöhnen lassen. Eine Instanz, der die westliche Perspektive oft das instinktive Wissen über diesen Ausgleich zuschreibt, sind indigene Weltsichten, die anders als westliche nicht anthropozentrisch seien, sondern sich mehr auf die Umwelt konzentrieren. In kolonialen Diskursen werden indigene Völker daher oft als so eng mit der Natur verbunden angesehen, dass diese – angenommene – enge Verbindung oft gerade zur Rechtfertigung ihrer Enteignung und Vertreibung diente. Nichtsdestotrotz greifen indigene Aktivist:innen weltweit auf die Rights of Nature (RoN) – und damit dieses koloniale Narrativ des nicht von der Natur zu lösenden Indigenen – als Mittel zur Emanzipation indigener Bevölkerungen zurück.

Sie nehmen dabei die damit einhergehenden Gefahren in Kauf, entwickeln aber auch Strategien zu ihrer Umgehung. Ein solcher Fall ist der des Martuwarra (Fitzroy River) in Western Australia. Die an seinen Ufern lebenden indigenen Völker proklamierten 2016, dass Martuwarra das Recht auf Leben und das Recht zu fließen habe und forderten die Anerkennung seiner Rechtssubjektivität. Auf den ersten Blick erscheinen die Forderungen der indigenen Aktivist:innen und ihrer Organisation, des Martuwarra Fitzroy River Council (MFRC), daher noch mit der westlichen Vorannahme konform, dass indigene Rechtsvorstellungen nicht-menschliche Entitäten ins Zentrum rücken würden.

Dieser Anschein beginnt jedoch aufzubrechen, wenn man sich bewusst macht, dass Martuwarra für die indigene Bevölkerung mehr ist als ein Ökosystem. Für sie ist der Fluss das kulturelle Medium, das sie mit ihren Vor- und Nachfahren, aber auch mit allen Lebewesen um sie herum verbindet. Von der Anerkennung des Flusses als Rechtssubjekt erwartet sich der MFRC daher nicht nur den Schutz eines weltweit einzigartigen Ökosystems, sondern auch die Anerkennung dieses ontologischen Unterschieds in der Wahrnehmung des Flusses und der menschlichen Gesellschaft, die sich um ihn gebildet hat, durch die westliche, anthropozentrische Rechtsordnung, vermittelt durch die RoN.

Es geht den indigenen Aktivist:innen dabei nicht nur um Anerkennung um ihrer selbst willen, sondern auch darum, der indigenen Bevölkerung die Möglichkeit zu verschaffen, gestaltend tätig zu werden. Im Zentrum ihrer Bemühungen steht die Ermächtigung der indigenen Bevölkerung, die staatlich sanktioniert und unter Beteiligung der Wissenschaft überkommene Management- und Governance-Techniken in den Kontext des Klimawandels einführen soll. Ziel ist die Steigerung des Wohlbefindens aller Menschen, besonders jener, die vom kapitalistischen Wirtschaftssystem und den Regierenden vergessen wurden. Die Beziehungen der Menschen untereinander und zur Natur bleiben für den MFRC immer noch zentral; es wird jedoch deutlich, dass auch er in erster Linie an die Menschen denkt – nur versteht er den „Menschen“ auf weniger individualistische, von Umwelteinflüssen unabhängige Weise. Er trägt damit zwei zentrale Fragen an die Menschen des Anthropozäns heran: Wer sind wir eigentlich? Und wichtiger: Wer wollen wir sein?

 

Kurzbiographie

Cornelia Tscheppe ist Ars-Iuris-uni:doc-Stipendiatin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Sie studiert(e) Rechtswissenschaften und Geschichte auf der Universität Wien. Seit Abschluss ihres rechtswissenschaftlichen Diplomstudiums forscht sie im Rahmen ihres Dissertationsprojekts zu Verträgen zwischen der staatlichen Verwaltung und Religionsgemeinschaften. Ihre Interessensschwerpunkte liegen im Religionsrecht, den Grundrechten, dem Verfassungsrecht, dem Allgemeinen Verwaltungsrecht und der Rechts(wissenschafts)geschichte