von Marlene Walser
Die historische Auslegung stellt für Jurist:innen in ihrer Rolle als Handwerker:innen ein wichtiges Werkzeug dar. Im Rahmen der Vorlesung „Angewandte Methoden der Rechtswissenschaften“ war sie Vortragsthema von Prof. Ewald Wiederin.
Prof. Wiederin nahm das „Angewandte“ der Angewandten Methodenlehre wörtlich und stellte im ersten Teil seines Vortrags hilfreiche Techniken vor, die eine historische Auslegung mithilfe von Gesetzesmaterialien ermöglichen. Diese reichten von der § 0-Abfrage bis zu Tipps darüber, wie man Änderungen im Plenum des Nationalrates entgegen dem ursprünglichen Entwurf mit einem Blick in den Stirnbalken im BGBl erkennt. Da dieser Stirnbalken erst 1974 eingeführt wurde, stellte er für den Zeitraum davor auch den Pitzinger-Index und den Langer-Index vor, in denen Fundstellennachweise für die Zeit von 1918 bis 1938 bzw 1945 bis 1974 zu finden sind. Anhand dieses Beispiels veranschaulichte Prof. Wiederin, dass die historische Auslegung, wie sie heute gelebt wird, maßgeblich von einem demokratischen Gesetzgeber abhängt.
Weiters wurden die Studierenden vor die Frage gestellt, wie weit die historische Interpretation gehen soll. Prof. Wiederin plädierte dafür, nicht nur die Erläuterungen des Gesetzgebers zu beachten, sondern den Kontext der Normentstehung miteinzubeziehen. Dies gelte insbesondere bei Regierungsgesetzen oder Entwürfen zum B-VG, die oftmals nicht parlamentarisch entstanden seien. Ein Blick in die Ministerratsprotokolle und Vorentwürfe lohne sich in den meisten Fällen. Zudem hätten Gesetze oftmals Antwortcharakter, weshalb auch der Rechtsbestand vor einer Änderung zum besseren Verständnis einer Norm beitragen kann. Der historischen Auslegung seien bei der Frage nach der Art der Quellen kaum Grenzen gesetzt, die Schwierigkeit liege vielmehr darin, die unterschiedliche Relevanz dieser Quellen zu erkennen und den Vorrang des Gesetzestexts dabei nicht aus den Augen zu verlieren.
Eine kritische Beleuchtung der historischen Auslegung blieb nicht aus. Zum Einwand, die historische Auslegung würde das Recht einzementieren, meinte Prof. Wiederin, dass historische Zwecke nicht absolutiert, doch aber wahrgenommen werden sollten. Zwar räumte er ein, dass bei dieser Interpretationsmethode oftmals leere Kilometer gemacht werden, die Frage „Lohnt es sich?“ konnte dennoch mit „Ja“ beantwortet werden. Abschließend plädierte Prof. Wiederin für die historische Auslegung – einerseits weil sich kaum ein Beruf der juristischen Praxis die zeitintensive Auseinandersetzung mit historischen Materialien leisten kann, andererseits, weil er sich und den Studierenden davon eine Freude am rechtswissenschaftlichen Arbeiten verspricht, die spürbar, wenn nicht ansteckend war.