von Leonard Breivogel (Institut für Finanzrecht, Universität Wien)
Im Rahmen des Methodenseminars, am 25. April 2024, beleuchtete Frau Prof. Caroline Heber die Unterscheidung zwischen Arbeiten, die sich den klassischen juristischen Auslegungsmethoden („Legal“) bedienen, und Projekten, die eine substantielle Neuordnung fordern („Policy“).
„Policy“: Was ist das?
Während jeder Jurist und jede Juristin mit den klassischen Auslegungsmethoden, namentlich der grammatikalischen, der systematischen, der historischen und der teleologischen Interpretationsmethode, bestens vertraut ist, ist der Begriff der Policy-Arbeit für Viele ein Fremdwort. Bei der Antwort auf die Frage, was nun unter Policy zu verstehen ist, betonte Frau Prof. Heber, dass der Policy-Begriff nicht mit „politics“ verwechselt werden darf. Es geht hier nicht darum, welche politischen Kompromisse nötig sind, um Gesetze in Kraft zu setzen. Es geht auch nicht um den Einfluss von Lobbygruppen und Interessensvertretern. Somit darf jener Teil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bei der Policy-Debatte getrost ignoriert werden, der versucht, den wissenschaftlichen Diskurs in der Rechtswissenschaft von der Politik abzugrenzen. Das Politische, also das Finden von Kompromissen, das Bewerten, welche Angelegenheiten tatsächlich neu geregelt werden müssen und dergleichen mehr, soll den Politikern überlassen bleiben. Typische Policy-Überlegungen liegen zwischen der klassischen Juristerei, die sich mit dem geltenden Recht befasst, und der Politik. Policy-Arbeiten versuchen Erkenntnisse aus anderen Disziplinen für das Recht fruchtbar zu machen und Reformvorschläge auszuarbeiten.
„Policy“: Mehr als nur „de-lege-ferenda“ Vorschläge
Die klassischen Interpretationsmethoden helfen uns auch, das geltende Recht auf Sachverhalte anzuwenden, die der Gesetzgeber (noch) nicht vor Augen hatte. So können Gesetzesbestimmungen dem Lauf der Zeit standhalten. Wenn Juristen aber mit ihren klassischen Methoden an ihre Grenzen stoßen, formulieren sie vielfach, wie das Recht auszusehen hat. Beispielsweise formulieren sie, wie das Gesetz künftig auszusehen hätte, um mit dem Gleichheitssatz in Einklang zu stehen. Echte Policy-Arbeiten gehen aber über die eigene juristische Disziplin hinaus und beziehen andere mit ein. Allen voran ökonomische Überlegungen, aber auch philosophische, sozialwissenschaftliche, und politikwissenschaftliche Erkenntnisse können miteinbezogen werden.
Konkret dienen Erkenntnisse aus den Bereichen Ökonomie, Philosophie, Politikwissenschaften und anderen Disziplinen als Grundlage für die Ableitung von Handlungspflichten. Dabei handelt es sich jedoch nicht um rechtliche Handlungspflichten. Frau Prof. Heber betonte, dass „Policy“ in einem Bereich zwischen geltendem Recht und „politics“ einzuordnen ist, indem es Handlungsverpflichtungen, die aus anderen Wissenschaften abgeleitet werden, analysiert und rechtliche Reformvorschläge vorlegt. Mit anderen Worten: Der rechtliche Handlungsbedarf leitet sich aus anderen (nicht juristischen) Disziplinen ab.
Quantitative und qualitative Rechtswissenschaft
In ihrem Vortrag unterstrich Frau Prof. Heber außerdem die Bedeutung der Unterscheidung zwischen der quantitativen und qualitativen Rechtswissenschaft. Während die quantitative Rechtswissenschaft juristische Sachverhalte in Zahlen fasst und analysiert, wie das Recht in bestimmten Zusammenhängen war, ist oder sein wird, beschäftigt sich die qualitative Rechtswissenschaft primär mit der Auswertung nicht zählbarer Daten. Dabei zieht die quantitative Rechtswissenschaft für ihre Analyse verschiedene Quellen, wie Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum heran.
Insgesamt machte der Vortrag deutlich, wie zwischen „Legal“ und „Policy“ abzugrenzen ist. Entscheidend ist, dass ein interdisziplinäres Arbeiten der Grundstein für Policy-Vorschläge bildet.
Nicht zuletzt gab Frau Prof. Heber auch wertvolle Ratschläge für Doktorandinnen und Doktoranden, die in ihren Dissertationen einen Policy-Ansatz wählen. Wichtig ist, klar zwischen rechtlichen Handlungspflichten und den Policy-basierten Empfehlungen zu unterscheiden. Dies sollte sich auch in der Struktur der Arbeit widerspiegeln.