"Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück." (Sprichwort)
von Günther Schaunig
Am 14. Juni 2019 kamen 14 Fellows der Vienna Doctoral Academy (Karina Jasmin Karik, Thomas Dullinger, Anna Novitskaya, Felix Zopf, Julia Mayer, Günther Schaunig, Katharina Haslinger, Simon Drobnik, Klara Holzner, Philipp Selim, Susanne Rosenmayr, David Tritremmel, Paul Hahnenkamp und Julian Pehm) zu einer der beliebten Socratic-Sessions in Wien zusammen. Auch im Rahmen dieses Seminars kamen Anleitung und Moderation von Univ.-Prof. MMag. Dr. Michaela Windisch-Graetz und Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz-Stefan Meissel. Das Beisammensein war – wie gewohnt – produktiv und erkenntnisreich für alle Beteiligten.
Folgende Texte standen auf dem gegenseitigen Prüfstand: „Ausnahme der Zeitungszusteller aus dem ASVG“ (Thomas Dullinger), „Deniers of International Law – Hegemony in Europe“ (Paul Hahnenkamp, Auszug aus der Dissertation), „Einstweiliger Rechtsschutz in der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ (Susanne Rosenmayr, Auszug aus der Dissertation), „Der besondere Gleichheitssatz der Finanzverfassung“ (Günther Schaunig, Auszug aus der Dissertation), „Die Noxalhaftung“ (David Tritremmel, Auszug aus der Dissertation).
In den Mittelpunkt der Diskussion gerieten neben diversen methodischen (Beispiel: Analogie und teleologische Reduktion; Wortinterpretation und historische Interpretation) und inhaltlichen (Beispiel: Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit als Verfassungsgarantien) Fragen auch gattungstheoretische Probleme: So muss sich der Stil einer Qualifikationsarbeit wie einer Dissertation etwa von einem Essay unterscheiden. Gleichzeitig ist man aber den jeweiligen – nicht nur stilistischen – Geltungsbedingungen des wissenschaftlichen Diskurses unterworfen.
Man war erinnert an die Feldtheorie von Pierre Bourdieu: Wie im Literaturbetrieb bestehen wohl auch im wissenschaftlichen Diskurs – mit allen möglichen Graubereichen – unterschiedliche Gruppierungen (etwa Avantgarde und politisch Engagierte oder eher der Tradition Verpflichtete und Puristen), die als dessen wesentliche Koordinaten gleichzeitig das wissenschaftliche Feld (mit)konstituieren. Um in das Feld, das einem Spiel gleicht, eintreten und in ihm bestehen zu können, sind die Schreibenden sogleich den Bedingungen des Feldes unterworfen und müssen die Autorität der im Feld mit Erhaltungsstrategien arbeitenden Etablierten prinzipiell anerkennen. Die Autorinnen und Autoren können aber selbst aktiv und in vielfältiger Weise auf die wirksamen Feldmechanismen und damit auf ihre Positionierung im Feld einwirken. Dazu gehört letztlich auch die Frage, in welcher Sprache Texte verfasst sind (Stichwort: Englisch als „Wissenschaftssprache“).
Fazit: Jeder Text und damit auch jede Dissertation hat unterschiedliche Adressaten. Und: Schreiben kann (auch) eine Strategie sein. Wer Teil einer Institution im juristischen Feld werden will, wird eher versuchen, diese Institution zu verstehen, bevor sie oder er diese Institution kritisiert. Oder wie Roland Barthes sprach: „Der (in der Erzählung) Sprechende ist nicht der (im Leben) Schreibende, und der Schreibende ist nicht der Seiende.“